Deutschland hat gewählt. Sind wir alle schizophren?
Das Ergebnis der Bundestagswahl überrascht, da viele Wähler scheinbar
entgegen ihren Überzeugungen abgestimmt haben.
Merkel und die CDU können sich über 41,5% der Stimmen
freuen, die SPD muss sich mit 25,7% begnügen.
Bei der sozialen Gerechtigkeit sowie der Fähigkeit für angemessene
Löhne zu sorgen wurde die SPD laut Infratest-Dimap mit 43% bzw. 45% deutlich
kompetenter als die CDU (24% bzw. 25%) eingeschätzt. Entscheidend ist, dass
diesmal im Gegensatz zur Wirtschaftkrisenfolgejahr 2009, die Frage der sozialen
Gerechtigkeit ein zentrales Entscheidungskriterium war. Für 57%!! waren angemessene
Löhne und Arbeitsbedingungen sowie eine gute Absicherung im Alter sehr wichtig.
Die Zukunft des Euro – wo die Union wesentlich kompetenter
eingeschätzt wird, war lediglich für 31% maßgeblich bestimmend für die
Wahlentscheidung. Der CDU/CSU wird von den Wählern traditionell als kompetenter
in der Wirtschafspolitik eingeschätzt (diesmal 58% vs. 22%). Allerdings vermag
das den Wahlausgang nicht zu erklären, da es für die Wähler nicht das
entscheidende Thema war.
Lediglich 32% waren der Ansicht waren, dass sich die
Regierung primär für mehr Wirtschaftswachstum einsetzen sollte, 51% halten es für wichtiger für mehr sozialen Ausgleich
zu sorgen.
Zusammengefasst hält die große Mehrheit der Wähler die SPD
in der Frage der sozialen Gerechtigkeit nicht nur für kompetenter, dieser
Themenkomplex scheint derzeit auch die Menschen stark zu bewegen. Dennoch
konnte die SPD kaum punkten. Weshalb?
1)
Der Kandidat war „suboptimal“. Mir persönlich
war er trotz seiner „Wahlkampfmacken“ sympathisch, aber das ist sekundär. Er
war im direkten Vergleich mit Merkel hoffnungslos unterlegen. Viel verheerender
war indes, dass er für die Mehrheit der Wähler bei der Frage der sozialen
Gerechtigkeit z.T. als unglaubwürdig angesehen wurde. Weitaus schwerer war sein
„mangelnder Spürsinn“ für den Wahlkampf in einer leicht rechtslastigen und v.a.
auf Effekte und Momentaufnahmen fixierten Mediendemokratie. Seine offene und
ruppige Art haben manche Journalisten gegen ihn aufgebracht, u.a. Dirk Kurbjuweit,
der im Spiegel eine regelrechte Kampagne gegen Steinbrück geführt hat. Manches
wurde aufgebauscht, vieles war selbst verschuldet:
Letztlich spielte das Merkel und der CDU in
die Karten, denn mit all diesen Ablenkungen konnte die SPD die Scheinwerfer der
Öffentlichkeit nicht hinreichend auf die Politikfelder lenken die für die
Wähler wichtig und in denen die SPD zudem insgesamt als kompetent angesehen
wird.
Steinbrück konnte zwar beim TV-Duell Punkte
sammeln, aber das war viel zu spät um sein beschädigtes Image hinreichend zu
reparieren und das Ruder nochmal rumzureißen.
Zusammengefasst lässt sich sagen:
Steinbrück könnte zwar Kanzler, Wahlkampf kann er definitiv nicht, denn er hat
es nicht geschafft die Scheinwerfer auf die eigenen Stärken (und die Schwächen
der CDU) zu richten.
2)
Auf der anderen Seite hat Merkel erfolgreich
eine Dreifachstrategie geführt. Erstens keinerlei Zumutungen angekündigt
(Kürzungen oder Steuererhöhungen). Zweitens bei Themen der sozialen
Gerechtigkeit viele Pakete ins Schaufenster gestellt, die bei einer
oberflächlichen Beschäftigung mit der Thematik (Lebensleitungsrente,
Mindestlohn usw.) scheinbar ausgereicht hat um Wähler an sich zu binden.
Drittens voll und ganz auf die Beliebtheit der Kanzlerin gesetzt, das
angesichts der Entpolitisierung in einer schnelllebigen Mediendemokratie von
Erfolg gekrönt war. „Der Kandidatenfaktor war diesmal hochrelevant: Nach 19
Prozent 2005 und 28 Prozent 2009 war jetzt für 34 Prozent aller Befragten und
45 Prozent der CDU/CSU-Wähler wichtiger, wer Kanzler wird, und nicht, welche
Parteien nach der Wahl zusammen regieren (56 Prozent).“
Insgesamt mutet es kurios an, dass die Wähler offensichtlich
entgegen die eigenen Interessen abgestimmt haben.
Ausnahmslos düster sind die Aussichten für die SPD (und die
anderen Parteien des linken Spektrums) aber nicht. Die Bedingung: sie müssen
sich wieder auf ihre Kernkompetenzen besinnen und sich für authentische
Politiker in der ersten Reihe entscheiden die glaubwürdig für die eigene Programmatik
einstehen sowie zudem wenig persönliche Angriffsfläche bieten.